about POLWECHSEL
POLWECHSEL – Kein Gleichstrom mit der Masse
Bereits mit ihrer erste CD (schlicht Polwechsel 1 genannt, 1993/94 aufgenommen, 1995 auf Georg Gräwes Random Acoustics, Jahre später auch auf dem größeren Schweizer Qualitätslabel Hat Hut / Hat[now]ART 112 erschienen) gelang ihnen ein wesentlicher Beitrag in der Diskussion über neuen Reduktionismus, Strategien der Klanglichkeit und deren Strukturierung. Vor allem Michael Moser und Werner Dafeldecker standen und stehen dabei bis heute hinter den nahezu allen Polwechsel-Aktivitäten zugrunde liegenden Kompositionen: Diese überwinden in Genese und auch im Resultat den klassischen Kompositionsbegriff, beziehen sie doch die Fähigkeiten, Verhaltensweisen und individuell entwickelten „Sounds“ der „Interpreten“ stark in ihr Konzept mit ein und definieren letztere auch als aktiv mitbestimmende Realisatoren bzw. Träger der „Partitur“. So entstanden Kompositionen u. a. in Form von Struktur- und Zeitablaufplänen, als Vorgabe von Modulen und Materialdefinitionen, als architektonische Klanganordnungen oder Settings, die eine Klammer zwischen neuer improvisierter und komponierter Musik schaffen. Die trotz dieser Offenheit bestehende Präzision der Kompositionen
spiegelt sich dabei auch in der Präzision der instrumentalen Fähigkeiten
der Polwechsel-Musiker und ihrer spezifischen Klang- und Materialentwicklungen
wieder. Dafeldecker: „Die kompositorische Entscheidung ist, sich
für einen Klang aufgrund des Vertrauens in ihn zu entscheiden: Hält
der Klang durch, hat er genug Kraft, über längere Strecken in
verschiedenen Kontexten eingesetzt werden zu können. Die Inspirationsquelle
ist der Klang. Dann kommt die Ebene: Wie weit kann man einen Klang strapazieren,
was kann man alles damit machen, in welchen Kontext kann man ihn auf welche
Weise stellen.“ Mit extremer Ökonomie und Schärfe werden
also Sounds entwickelt, definiert, miteinander in Beziehung gesetzt, kontrastiert
und in eine Struktur und einen zeitlichen Ablauf gebracht. Was Anfang der 90er Jahre vorerst rein akustisch begonnen hat, wird von
Polwechsel bald auch elektronisch (computer/electronics) ausgelotet und
fortgeführt und in der Entwicklung aktueller elektroakustischer Improvisation
und Komposition Position bezogen. „Polwechsel 2“ mit Aufnahmen
aus 1998, 1999 von Hat Hut / Hat[now]ART 119 veröffentlicht, dokumentiert
bereits diesen Wendepunkt und listet auch den britischen Tenor- und Sopransaxophonisten
John Butcher als neues Mitglied der Formation auf – Butcher ist
seines Zeichens einer der führenden freien Improvisatoren Englands
und für seinen vielgestaltig individuellen Saxophonsound ebenso bekannt
wie für seine Arbeit mit Live-Elektronik, Verstärkung und Feedback.
„wrapped island“: Eine Vorahnung auf einen erneuten „Polwechsel“? In gewissen Sinne ja. Auch die folgende und bislang letzte veröffentlichte CD trägt einen durchaus assoziativen „Polwechsel“-Titel und rückt von der kühl-objektiven Nummerierung „Polwechsel 1-3“ ab. „Archives of the North“ (2006, Hat Hut, nunmehr Serie hatOLOGY 633) tritt darüber hinaus auch in neuer Besetzung auf: Weiterhin Michael Moser und Werner Dafeldecker sowie John Butcher als inzwischen bereits langjähriges Mitglied, neu dazu mit Burkhard Beins und Martin Brandlmayr zwei Perkussionisten, die mit Formationen wie Perlonex oder radian selbst höchst aktiv im musikalischen Kunstkontext arbeiten. Die Musik also? Michael Moser: "Wir haben uns zwar gegen das Label [„Neue Reduktion“] gewehrt, aber zum Teil sicher sehr reduzierte Stücke gemacht. Irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man sagt: Weiter zu reduzieren hieße, mit dem Spielen aufzuhören. Deshalb haben wir seit Jahren darüber geredet, die Musik in eine andere Richtung zu entwickeln." Diese ist weiterhin als die der Forscher, Feinmotoriker und strengen Denker und Konzeptionalisten, als Polwechsel, zu erkennen, auch wenn sie sich nunmehr klangsinnlicher, flirrender entwickelt und auch stark mit räumlichen (Klang-)Aspekten und -wirkungen arbeitet. Dazu kommen Kompositionskonzeptionen, die interaktive Live-processing-Settings implizieren, was sowohl das Spielen für Polwechsel selbst wie auch die Rezeption zu einem zusätzlich extrem spannenden Live-Experiment macht. Einmal mehr hat Polwechsel damit einen potentiellen eigenen oder generellen musikalischen Stillstand frühzeitig in eine Spannungsumlegung lenken können. Kein Gleichstrom mit der Masse. Neuland zwischen veralteten Fronten. Ute Pinter
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Of all music, it was difficult to foresee that free improvisation, traditionally the music of abundance––indeed even of excess––could become the main setting for reductive strategies. After all, historical ensembles such as Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza and AMM, both products of the sixties’ (counter) culture, had already demonstrated the aesthetic fruitfulness of reductive approaches to real-time music, decades earlier. But they remained secondary voices in the concerto of improvisational emancipation, drowned out by high-powered, vociferous free jazz. In the nineties, however, two things came together in improvised music: a rediscovery of those ignored voices; and an intense, renewed reception of contemporary composed music’s soundworld—in particular, the reductive approaches of Morton Feldman and Giacinto Scelsi, but also the rich noise-world of Helmut Lachenmann’s scores. Peter Niklas Wilson
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