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Polwechsel 1
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64 the wire
Polwechsel Polwechsel RANDOM ACOUSTICS RA009CD
Composition for improvisors does not have to result in the garnished claptrap
of an Jon Lloyd or Barry Guy. Here, Werner Dafeldecker(bass, guitar) and
Michael Moser(cello) operate like Luigi Nono, they organize events that
interrogate the process of sound production. Along with Radu Malfatti
(trombone) and Burkhard Stangl(electric guitar), they spin a tense, linear
music almost hysterical in its focus. It is hard to credit that traditional
instruments can actually make these sounds, let alone musicians array
the results in such spindled webs of weird conjuncture.
Polwechsel hear possibilities in the interstices of conventional timbre.
The effect is shocking, the inner self eviscerated, your very guts pinned
out on the dissection table. Scary and very, very special.
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Andreas Felber
Jazzpodium Nr. 2
49 Ja. (Feb. 2000)
Helmut Lachenmann multipliziert mit John Cage dividiert durch Derek Bailey
– so könnte ein zugegebenermaßen plakativer Versuch einer
Formel für die Musik von Polwechsel lauten.
Die instrumentale Praxis der Quartett-Mitglieder beruht auf ihrer kompromisslosen
Verweigerungshaltung gegenüber der tradierten „wahren Art“,
ihre Musikgerätschaften zu bedienen. Jenseits des vertrauten Klangrepertoires,
rein im Geräuschbereich, wird ein feinst abgestufter Sound-Kosmoss
ausgelotet, eine neue musikalische Grammatik entworfen. Ohne den Ernst
etüdenhafter Systematik freilich: Die Grundstimmung ist eine gelöste
nahezu meditativ-besinnliche, das Material bleibt Mittel zum Zweck, und
dieser scheint vor allem auf der ersten, 1993/94 aufgenommenen CD (ursprünglich
bei Random Acoustics veröffentlicht) das Ergebnis des Klanges im
Augenblick und in der Konstellation seines Entstehens zu sein.
Ein leises Wischen mit dem Cello-Bogen, ein jäh angerissener Gitarrenakkord,
ein Schlag auf den Corpus des Kontrabasses, ein flüsternd surrender
Bordun der Posaune: irgendwo an den Rändern der Stille, oft nahe
an der Hörbarkeitsschwelle werden abstrakte Klangnetze ausgeworfen,
die sich auch gegenüber scharfkantigen, obertonreichen E-Gitarren-Splittern
als reißfest erweisen, die zuweilen perkussive Qualität gewinnen
oder sich flächig ausdehnen und insbesondere im finalen „Südwest“
auf sparsamst gesetzte Partikel reduziert werden, die nur die Stille zu
interpunktieren, hörbar zu machen scheinen, die sie umgibt. Was hier
wie frei improvisiert klingt und historisch an die 60-er-Jahre-Experimente
von Nuova Consonanza oder Vinko Globokars New Phonic Art anknüpft,
entspringt im Falle der Dafeldecker-Stücke „Nord“, „Ost“
und „Südwest“ freilich pennibel ausgearbeiteten, graphiklastigen
Partituren; nur Michael Mosers nicht minder faszinierende Glissando-Studie
„NNO-Fernaumoos“ fällt gestisch aus dem Rahmen. Die Partizipation
John Butchers anstelle Radu Malfattis im Zuge des zweiten, 1998 entstandenen
„Polwechsel“-Opus erscheint wie eine Bestätigung für
die phasenweise Nähe der Musik zum „non-idiomatischen“
Geräuschkollektivismus der britischen Improvisationsavantgarde. Doch
weniger Butchers Saxophone prägen das Geschehen als die Erweiterung
des Instrumentariums um elektronische Klanggeneratoren, die Dafeldecker
auch schon zu Sessions mit Jim O’Rourke zusammenführten. Die
Stücke scheinen formal klarer strukturiert, konzeptuell distinkter,
auch im Ensembleklang kompakter als jene auf CD 1, freilich auch kalkulierbarer.
Trotz (oder gerade aufgrund) des behutsamen monochromen Einsatzes der
elektronischen Sounds wirken diese strukturbildend: in Gestalt des mehrmals
wiederkehrenden Blockrauschens in „Hyogo“ im von berückend
kontemplativen Tenuto-Schichten überlagerten, periodisch beschleunigten
und verzögerten Pulskontinuum in „Toaster“. Faszinierendstes
Stück aber ist „Falb“ (Hans Falb, dem Leiter der Nickelsdorfer
Jazzgalerie, gewidmet), das – mit Butcher als Protagonist –
trotz extremer dynamischer Verhaltenheit mit Geräuschschichten von
differenziertester Farbigkeit unruhig, lodernd und bebend, aufwartet.
Vom Hörer wird für diese Musik zweifellos große Offenheit
und hohes Konzentrationsvermögen verlangt, dafür wird er allerdings
reich belohnt.
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Jazzthetik 2/9 6
Random Acoustics, Georg Graewes Label, ist innerhalb von knapp zwei Jahren
mit seinen bisher 12 Veröffentlichungen zu einem der interessantesten
neuen Outlets geworden. Schwerpunkte der Arbeit sind Neue Elektronische
Musik und deren Verhältnis zu neuer Improvisation, Neue Improvisation
und deren Verhältnis zu Komposition, sowie Komposition und deren
Verhältnis zu richtigem Jazz. Ein Grund für diese Allover-Besprechung
ist, dass sich die genannten Positionen und ihre Schnittmengen an den
sechs Produktionen beweisen.
Polwechsel: Ambient Webern mit Chicago-Anleihen (O’Rourke), eine
Musik also, die man 1993, zum Zeitpunkt der Aufnahme, noch gar nicht kannte
und nie so gekannt hätte.
Komponierte Improvisation und Noise und Slow-Motion-Glissandi die sich
immer wieder und wieder überlagern (3.Stück) und wenn überhaupt
eine Tradition dann die der großartigen AMM, also The Practise (und
ich würde ergänzen: the Poetry) of Self-Invention. Nur daß
diese Musik zu Teilen (Pol) komponiert ist aber auch improvisiert (Pol)?
Dafeldecker und Stangl machen herb-trockene, metallische Flächen
(Pol) oder diese Derek Bailey-Splitter (Pol) und Radu Malfatti erfindet
immer wieder neu: die Posaune, mal poliert (Pol) mal prustend (Pol). So
wird die Musik heftig (Pol) leise (Pol) und arbeitet genau an diesem Gegensatz
und dem zwischen realer und erlebter Zeit (Pol-Pol).
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